Die Sage vom Goldenen Ritter und Nonnenspring

 


Nachdem die dienenden Brüder auf der Wichmannsburg, die über dem schlammigen Morast des Burgrahmens führende Zugbrücke hochgezogen hatten, wurden sie von ihrem Komtur, Friedrich von Alvensleben , zu einer Besprechung im großen Saale der Burg eingeladen.  Als die Brüder den Saal betraten, waren schon alle in der Burg wohnenden Ritter, um den in der Mitte des Raumes stehenden Tisch versammelt. Auf hoch- lehnigen Stühlen saßen sie und schauten erwartungsvoll auf ihren Komtur, um von ihm eine Botschaft zu hören. Aus der ganzen Haltung der Anwesenden und ihrer festlichen Kleidung, die sie trugen, konnte man schließen, dass die zu erwartende Botschaft eine wichtige sei. Friedrich von Alvensleben saß an der Schmalseite des Tisches. Auch er hatte ein festliches Gewand angelegt, dass aus dem Prunkharnisch bestand, über dem er den weiten leinenden Mantel der Tempelritter gehangen hatte. Blutig rot leuchtete das achteckige Kreuz auf der linken Seite des Mantels dem Beschauer entgegen. Auf dem Kopfe trug der einen mit Federbuschen gezierten Helm, und an der Seite sein breites Schwert. In der gleichen Weise wie der Komtur waren auch die Ritter gekleidet. Nachdem nun auch die dienenden Brüder an dem Tische Platz genommen hatten, erhob sich der Prior und sprach seinen Segen über die Anwesenden. Darauf begann der Komtur also zu sprechen:

Liebe Ordensbrüder !

Euch allen ist bekannt, dass den Mitgliedern des Ordens viel Schweres bevorsteht. Der Papst hat seine Hand von unserem Orden gezogen, sodass der König von Frankreich es wagen konnte Hand an unsere Brüder zu legen und sie ins Gefängnis zu werfen. Ein ähnliches Schicksal drohe uns auch zu treffen. Vertrauliche Kunde ist an unser Ohr gedrungen, dass der Magdeburger Erzbischof Burghard daran gehen will die Ordensstifte aufzulösen, und unser wohlerworbenes Eigentum an sich zu  nehmen. Es gilt nun heute zu beschließen, welche Mittel wir dem Vorgehen des Erzbischofs entgegensetzen wollen. Unsere Brüder der Süpplingenburg und die Brüder der Uhlenburg haben beschlossen, dem Erzbischof den  Kampf anzusagen und sich gegen seine Maßnahmen zur Wehr zu setzen. Ich fordere daher alle Brüder, auf ihre Meinung zu sagen um eine Richtschnur für unser Verhalten für die Zukunft einrichten können. Nachdem der Komtur seine Ansprache beendet hatte, erhob sich Udo von Eilslleve von seinem Platz und sprach:

Liebwerte Brüder! Schweres steht uns bevor. Doch glaube ich, wenn wir alle unsere Klugheit anwenden, die wir besitzen, dass wir dann alles Ungemach von uns abwenden können. Doch sollte uns dieses nicht vollständig gelingen, so können wir das Schicksal vielleicht so lenken, dass es uns zu Lebzeiten keinen ernsthaften Schaden mehr antun kann. Ich schlage daher vor das wir alle unsere Besitzungen in Bülstringen und Wolfshagen und das dafür  erlangte Geld sicher zu verwahren, um es dann als Notgroschen im Alter wieder zu verzehren.Unser geheimer Zufluchtsort, die Linderburg, wird uns bis an unser Lebensende den nötigen Schutz gewähren können, den wir für unsere Sicherheit gebrauchen. Während dieser Rede hatten verschiedene der Anwesenden zustimmend mit dem Haupte genickt, sodass der Komtur annehmen konnte, der vorgetragene Vorschlag sei die Meinung der größten Zahl der Anwesenden. Darum schloss auch er sich der Ansicht: des vorgetragenen Ritters an, und versprach, sich nach einem geeigneten Käufer für die Liegenschaften der Komturei umzusehen.Nach einem dahin gehenden Beschluss schloss der Komtur Friedrich von Alvensleben die Zusammenkunft der Templer auf der Wichmannsburg. Er selber ritt am anderen Tage nach der starken Feste Hunoldisburg, um dort mit seinem Bruder Albert von Alvensleben , dem Besitzer dieses festen Schlosses, wegen dem Verkauf Rücksprache zu nehmen. Groß war das Besitztum der Templer der Wichmannsburg, sodass sich so leicht kein Kaufpreis für alle diese Liegenschaften finden ließ. Das halbe Dorf Bülstringen und das Dorf Wolfshagen mit der Wichmannsburg war Eigentum der Komturei. Nach der Ansicht des Großkomturs Friedrich von Alvensleben, war keine Zeit zu verlieren, um diese Besitzungen zu Gelde zu machen. Er stimmte daher dem Angebot seines Bruders auf die Zahlungen von 300 Mark Silber zu und übereignete alles, was der Komturei gehörte, dem Schlossherrn der Hunoldisburg als Eigentum. Das Geld aber nahm er sofort mit zur Wichmannsburg.

Da finden wir denn die Ritter wieder versammelt in ihrem Kapitelsaale, um zu beraten was mit dem Gelde und den Kleinodien, die die Komturei außerdem noch besaß, werden solle, damit sie dem Zugreifen des Magdeburger Erzbischofs entzogen würden.

Udo von Eilsleve machte folgenden Vorschlag: Wir nehmen so sprach er, alle Kleinodien, die wir besitzen und bringen sie zum nächstgelegenen Berg, um sie zu vergraben Vor allen Dingen müssen wir darauf sehen dass die goldene Rüstung unseres Großmeisters dort einen guten Platz erhält. Alle Edelsteine und Reliquien im heiligen Grabe legen wir in eichene Kästen, die mit Wachs und Pech überzogen werden. Hierdurch werden sie den Verderben bringenden Einflüssen der Witterung entzogen und wir können sie jederzeit wieder zurückholen, wenn die Zeiten bessere für uns geworden sind. Das bare Geld aber nehmen wir mit in die Fremde. Unsere Brüder auf der Linderburg werden sich freuen, dass sie uns in ihrer  versteckten Waldburg einen sicheren Unterschlupf gewähren können.

Der Komtur fand diesen Vorschlag zur Ausführung geeignet. Deshalb sprach er:

Sagt Brüder, der Vorschlag den wir gehört haben, mag uns allen gefallen. Es bleibt jetzt noch zu beraten übrig, wann wir unser Vorhaben ausführen wollen. Ich schlage die mitternächtliche Stunde des Neumondes vor. Alle Anwesenden stimmten ihm zu.

Um nun diesen Beschluss zur Ausführung zu bringen, machten sich in den nächsten Tagen die dienenden Brüder der Wichmannsburg daran, auf dem nächsten Berge Löcher zu graben. Den zufällig des Weges kommenden Landleuten erzählten sie, dass die Komturei beabsichtige, in die Löcher Eichbäume zu pflanzen, und zwar um den kahlen Berg ein anderes Aussehen zu geben. Als nun die finstere Nacht des Neumondes gekommen war, machten sich alle Insassen der Burg, unter Führung des Komtur Friedrich von Alvensleben auf den Weg, um ihr geplantes Vorhaben zur Ausführung zu bringen. 14 Kästen führten sie mit sich, die alle Wertsachen enthielten, die die Ritter besaßen. Lautlos wurden die Behälter bei trüben Fackelschein in die gegrabenen Löcher versenkt. Darauf bedeckte man jeden einzelnen Kasten mit Erde, auf der ein junger Eichbaum gepflanzt wurde. Für die goldene Rüstung hatte man jedoch ein größeres Loch graben müssen, sodass man genötigt wurde, hier 2 Eichbäume pflanzen zu müssen.

Nachdem man noch altes Laub auf das ganze Fleckchen Erde verstreut hatte, man wollte dadurch der Stelle ein altes Ansehen geben, gingen alle Beteiligten zur Burg zurück. Am anderen Tage lud man die Nonnen von Althaldensleben zu einer Festlichkeit ein, womit man den Abschied der Ritter von ihrer Burg feiern wollte. Fröhlich ging es bei dieser Feier her, denn die Teilnehmer, Ritter sowohl wie Nonnen, waren sich gegenseitig keine Fremden. Denn schon oft hatten sie derartige Zusammenkünfte gehabt, bei denen  es immer  hoch her gegangen war. Die weibliche Neugier der Nonnen war natürlich dadurch rege geworden, dass sie nichts mehr von allen bisher dagewesenen Kleinodien zu sehen bekamen. Diese und jene Nonne horchte bei ihrem Tischnachbar, wo denn alle diese schönen Herrlichkeiten geblieben seien. Doch keiner der Ritter wollte Kunde über den Verbleib der Wertgegenstände geben.

Isalbe von Dreileve, eine jungfräuliche Nonne, hatte es bei einem Ritter durch zärtliche Liebkosungen erreicht, dass er ihr das Geheimnis über den Verbleib der Kleinodien im Vertrauen mitteilte. Die kleine Nonne wollte jedoch das Geheimnis auf seine Richtigkeit nachprüfen, darum überredete sie ihren Ritter dahin, dass er ihr noch in dieser Nacht das Versteck zeigen sollte.

Der reichlich genossene Wein ließ den Ritter sein Gelübde und alle Vorsicht vergessen. Unbemerkt von den anderen Festteilnehmern schlich er sich, Isalbe mit sich führend, an den Ort, wo sie in der vergangenen Nacht die Kleinodien versteckt hatten. Hier, Isalbe, sprach er, ist der Ort, wo unsere Heiligtümer ruhen. Löse du nun dein Versprechen ein und gib mir den Lohn, den meine bisherige stille Liebe von dir zu fordern hat.

Noch nicht, Herr Ritter, sprach Isalbe, erst muß ich euere Worte auf ihre Richtigkeit hin nachprüfen. Darum sag ich euch, nehmt die goldene Rüstung  des Großmeisters aus der Erde, dass heißt, wenn sie darin liegt, wie ihr es mir versichert, und legt sie euch an. Wenn ihr dann mit der goldenen Rüstung geschmückt seid, dann bin ich mit Freuden die Eure. Hastig entfernte der Ritter die Erde, die den goldenen Harnisch bedeckte, und in dem ihm Isalbe mit der Kienfackel leuchtete, legte er die Rüstung an, um sich dann der verliebten Nonne in voller Pracht des gleißenden Goldes vorzustellen und sie in seine Arme zu schließen. Die hierbei zur Erde fallende Fackel erlosch und tiefe Finsternis herrschte rings umher.

Während sich dieses auf dem Berge zutrug, feierte man im Saale der Burg das Abschiedsfest weiter, keiner hatte das Verschwinden der beiden sofort bemerkt. Erst geraume Zeit später fiel ihre Abwesenheit auf. Die Tempelherren, nichts gutes ahnend, voran ihr Komtur Friedrich von Alvensleben, machten sich sofort auf die Suche, um den Verbleib der beiden festzustellen. Hierbei schlossen sich die Nonnen, unter Führung der Abtissin ihnen an.

Der Torwart konnte Auskunft geben, wohin sich das Pärchen gewand hatte. Lautlos, so gut es der genossene Wein erlaubte, schlichen sich alle zum nahe gelegenen Berge, wohin die Spuren des Pärchens führten. Schnell entzündete Leuchtfeuer erhellten den Hügel und offenbarten dass, was sich dort zutrug. Die Templer sahen dort den pflichtvergessenen Ritter in der goldenen Rüstung des Großmeisters stehen und die Nonne im Arme halten.

Faßt und bindet ihn!, rief Friedrich von Alvensleben seinen Begleiter zu. Dieser Befehl wurde dann in einem kurzen Augenblick zur Ausführung gebracht. Während der Befehl ausgeführt wurde, entfloh die Nonne in der Richtung der Burg. Wohin sie von ihren Schwestern verfolgt wurde.

Als nun der gefesselte Ritter vor dem Komtur stand sprach dieser folgendes Urteil über ihn: Du pflichtvergessener Mann. Schande und Strafe komme über Dich. Nehmt ihn, hierbei wandte er sich an seine Begleiter, werft ihn lebendig in die Grube, aus der er die Rüstung stahl. Dort soll er vermodern. Sein Geist aber finde nirgends  Ruhe. Rastlos soll er umher irren, bis an der Welt Ende.

Der Befehl fand dann auch sofort seine Ausführung.

Die Nonne hatte  sich auf ihre Flucht zur Burg gewandt, um in der dortigen Kapelle, am Altar, Schutz zu suchen. Als sie jedoch die Mitte der Zugbrücke erreicht hatte, versperrte ihr der Torwart den Weg. Um den nachstürmenden Nonnen zu entgehen, sprang sie von der Brücke herunter und zwar hart auf den Rand, wo der Sumpf den festen Erdboden berührte. Eiligst entfernte sie sich in der Richtung nach Haldensleben. Der dichte Wald machte jedoch eine Verfolgung durch die Nonnen zur Unmöglichkeit. Vorbeikommende Leute fanden sie am anderen Morgen am Rande des Klinggrabens tot liegen.

Die Seele hatte ihren Körper verlassen.

Seit dieser Zeit nun irrt der Ritter in der goldenen Rüstung auf der nahe der ehemaligen Wichmannsburg gelegenen Anhöhe umher. Oftmals haben ihn vorrüberziehende Wanderer dort oben in gleißender goldener Rüstung stehen sehen. Und zwar so oft, dass man dieser Anhöhe den Namen „ Der goldene Ritter“ gab. Der Geist der Nonne aber teilt das gleiche Los. Er wandert ruhelos am Klinggraben auf und ab und wartet dort auf einen Jüngling, der ein Sonntagskind sein muß, dass dieser sich ihrer annimmt und ihr die Ruhe durch einen keuschen Kuß wiedergibt. Als Lohn würde er den im goldenen Ritter verborgenen Schatz erhalten.

Die Stelle jedoch, wo die Nonne auf die Erde sprang, entquoll eine Quelle, deren Wasser noch heute laufen …. Nonnenspring heißt der Quell.